Nackt mit Hut

An diesem Tag gab es besonders viel zu tun. Nach einem ausführlichen regelkonformen Saunagang kicherten im Ruheraum zwei junge schöne Frauen miteinander. Sie hasste junge Frauen. Die kicherten. Schön waren. Freundinnen hatten.

Nach einer scharfen Ermahnung und bösem Blick war schnell Ruhe. Das beste Gefühl. Aber dann waren da die anderen beiden, die zu zweit ins Dampfbad gingen. Da durfte man nur EINZELN rein.
So ging das nicht. Sie unterbrach den eigenen Saunagang, ja so leidenschaftlich setzte sie sich für dieses Fitnessstudio ein und wies die beiden zurecht. Die wurden frech, motzten zurück, die eine machte sich über ihren Saunahut lustig. Was fällt ihr ein? Ihr wurde noch viel heißer dank dieser Wut! 

Was blieb ihr anderes übrig als denen eine Lektion zu erteilen? Sie wollten zu zweit ins Dampfbad, sollten sie ihre Zweisamkeit genießen. Eine Stunde jammerten sie schon da drin. So blockte sie das Dampfbad mit stolzgeschwellter Brust, zufriedenem Grinsen, nackt mit Hut. Ein guter Tag.

Bin ich noch Körper?

ich arbeite, ich sage hallo, ich schreibe,
ich telefoniere, ich mache Sport, ich mache Yoga – für den Geist und so –, ich zahle Rechnungen, ich gratuliere, ich frage,
ich höre zu, ich rede, ich funktioniere
für dich und für mich. 
Manchmal lache ich. Oft möchte ich lieber weinen.
ich sehe die anderen, die anderen sehen mich.

Meistens sehe ich die anderen und die anderen mich in einem Screen, als Text, Bild oder Video.
Wir sind einander Foto, Sprachnachricht, manchmal Bewegtbild,
und immer Fragment.

Alleine, alleine, immer alleine. Alleine kochen, alleine essen, alleine Filme, alleine Bücher, alleine schlafen, alleine abwaschen.
Ich hasse abwaschen.

Und so ganz alleine und für alle sichtbar frage ich: Bin ich eigentlich noch? Noch Materie, noch Körper? 
Kann mich mal kurz jemand halten, damit wir beide, also du und ich, wissen, ob es mich noch gibt?

Und dann

Und dann wachst du auf, mit dicken Augen und Linien im Gesicht und grau-gestreiften Haaren. Der Rest sitzt noch an Ort und Stelle, aber den Snickers von gestern, den siehst du noch übermorgen am Speckgürtel. Eigentlich nicht so schlimm, würden dir nur nicht ständig durchtrainierte Bodies begegnen – im Film, auf dem Handy, im Club. 

Dabei ist doch jetzt Body Positivity angesagt. Du sollst deinen Körper so lieben wie er ist, sagen sie und zeigen nur schöne, dünne, trainierte Menschen, deren Body wirklich sehr positiv schön ist. Nur gar nicht so wie deiner.

Und dann gehst du an den Schreibtisch und schaffst für deinen Lohn, denn was wärst du schon ohne einen Job? Du ackerst für deinen Chef und seinen Pool im Garten. Du ackerst für Zahlen und KPIs, die dich einen Pfurz interessieren. Je mehr du dich dafür aufopferst, desto mehr steigt dein Wert. Mach dich nützlich. Die Märkte sind die Religion. Amen. 

Und dann schießt du dich ab. Denn wer kann das Leben durchgängig nüchtern ertragen? Wenn du es nicht tust, fühlst du dich überlegen. Trinken, Rausch? Das brauchst du nicht. 
Und dabei merkst du nicht, dass dir ein bisschen Ekstase gut stehen würde.

Und dann haben wir Sex und werben umeinander wie die Tiere. Romantisch ist das nicht. Wir wollen nur, dass jemand sein Ding in unser Ding hineinsticht, ein paar Küsse ein paar Zärtlichkeiten, wenigstens diese Nacht nicht allein sein. 

Kommst du wieder? Gibst du mir das Gefühl, dass du mich magst? Ich mag dich nicht unbedingt. Ich will nur, dass du verrückt nach mir bist. Damit mein Ego zufrieden ist. Mein Ego ist ein launischer Tiger. Nicht genug gefüttert, frisst es mich auf und spuckt die Knochen wieder aus. 

Und dann fühlen wir uns wild und verrucht, und wir küssen und lecken und lutschen aneinander herum und fühlen uns gut, denn wer Sex hat, muss sexy sein. Wer besonders viel Sex hat, ist besonders viel sexy. Oder?

Und wenn wir nicht Single sind, dann schauen wir uns den Menschen an unserer Seite von der Seite an. Bist du noch so süß, heiß, lieb, vorzeigbar wie damals? Gibt es andere, die süßer, heißer, lieber, vorzeigbarer sind? Gibst du mir alles, was ich will, wann ich es will?  

Und wenn uns dieser Mensch schon alles gegeben hat, was wir dachten zu brauchen = Ring, Haus, Kinder, Hund, dann schauen wir uns den Menschen an unserer Seite erst recht von der Seite an und sehen, dass er*sie gar nicht mehr so süß, heiß, lieb, vorzeigbar ist wie damals. Und Sex? Pah. Du bist von dem ewig gleichen Körper an deiner Seite so gelangweilt. Zugenommen hat dieser Körper auch.

Also träumst du dich in Pornos und bist überzeugt, wie sehr du es den jungen Dingern mit den saftigen Titten geben würdest oder du träumst dich in deinen Roman oder Film, der ja so romantisch ist.

Und dann sitzen und seufzen da alle, die Singles, die Vergebenen, die Verheirateten, denn sie wären gern Teil des dirty Porn und der Romanze. 

Und dann denkst du über eine Zahnzusatzversicherung nach. Denn deine Zähne zerfallen mit der Zeit wie deine Träume und dein Idealismus.

Und dann verfliegt auch die Energie für diese noch aufzusprechen.

Und dann?

Na Berlin, zeckt der Kater noch?

Ich hoffe es sehr. Nichts anderes habt ihr verdient nach diesem Pfingstwochenende der Schande. Euer Kopf soll sich anfühlen als würde er explodieren – bei jeder kleinsten Bewegung. Euch soll übel sein von all dem Sekt auf Eis, den ihr so mögt, von der ein oder anderen Line Koks, die das Taxi eures Vertrauens euch bis vor die Haustür geliefert hat und das Keta und oder die Teile sollen ihr übrigens tun. #enjoyyouremokater

Aber am meisten soll euch die Scham übermannen. Die Scham über eure Schein-Solidarität, über euren Egoismus, eure Gedankenlosigkeit. 

Party und Politik. Yeah?

Das Partyboot mit politischen Bannern schmücken. Was habt ihr euch da gedacht? Während es in den USA gerade buchstäblich brennt, während schwarze Menschen auf die Straße gehen, ihre Verzweiflung, Angst und Hoffnungslosigkeit auch in den sozialen Medien mit uns teilen und sich in dieser Zeit nicht einmal auf ihr Staatsoberhaupt, einen der schlimmsten Menschen, den diese Welt je ertragen musste, verlassen können, wird in Berlin feuchtfröhlich #daydrinking betrieben, genüsslich auf der Spree geschippert und aber klar, so progressiv und solidarisch sind wir Berlinerinnen und Berliner – Banner mit netten Botschaften, die basteln wir auch. 

Manche waren wohl schon beim Erstellen dieses Banners so benebelt, dass sie die letzten Worte von George Floyd “I can’t breathe” nicht einmal mehr richtig schreiben konnten. Wahrscheinlich konntet ihr in dem Moment selbst auch nicht mehr ganz so gut breathen von all dem Streckmittel in euren Nasen. (Shoutout an dieser Stelle: You know who you are.) Aber macht ja nix. Der Gedanke zählt. Und oh: Refugees absolut auch welcome. Und bitte rettet doch unsere Clubszene. So viele Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Party und Politik! Woho yeah, Berlin-Style! #SoBerlin. 

Die Superspreader-Spree-Party ist keine Lösung

Ich könnt kotzen. Ich schäme mich. War bestimmt alles gut gemeint. War aber auch trotzdem scheiße.

Und ja, auch ich liebe die Technoszene. Auch ich vermisse Raves, die Musik, das Beieinandersein, so tanzen, dass man den Muskelkater 3 Tage später noch spürt. Ich vermisse es, benebelt und voll mit Glücksgefühlen zu tanzen und die Zeit zu vergessen, schöne fremde Menschen zu küssen und meine Freundinnen und Freunde zu kuscheln.

Gleichzeitig tobt gerade eine Pandemie. So sehr wir uns auch freuen, dass der himmlische Berliner Sommer nun in den Startlöchern steht, so sehr müssen wir uns immer noch zusammenreißen. Wenn nicht für uns, dann doch bitte aus Solidarität zu denjenigen, die eine Erkrankung nicht so leicht wegstecken, die nicht wegen eurem Egoismus, eurer Verdrufftheit auf der Intensivstation landen wollen. Und wie schamlos und ignorant von euch auch vor einem Krankenhaus rumzulümmeln! Einen besseren Ort zum Scheißesein in der Masse hättet ihr nicht finden können.

Vor ein paar Wochen noch habt ihr die netten Social-Media-Videos von Menschen geteilt, die sich gegenseitig auf den Balkonen etwas vorgespielt, die gemeinsam getanzt oder das Pflege- und Supermarktpersonal gefeiert haben. Wo ist eure Solidarität jetzt? Ist die Feierwut nun doch wichtiger? Die geliebten Bars und Clubs bangen um ihre Existenz. Hier muss eine Lösung her. Eine Superspreader-Spree-Party löst nichts.

Setzt euch hin und reflektiert.

Wenn ihr Solidarität beweisen wollt, dann postet und feiert weiter – mit Abstand und Rücksicht aufeinander. Aber vor allem informiert euch darüber, wie ihr zu einer besseren veränderten Gesellschaft beitragen könnt. Was diese Welt braucht, sind aufgeklärte Menschen, die die Augen offenhalten, die #BlackLivesMatter nicht nur als stylischen trendy Slogan für den Schlauchbootausflug nutzen, sondern ernst nehmen und leben. 

Gestern war so ein Tag dafür. Ihr hättet euch am #blackouttuesday Zeit nehmen können. Wahrscheinlich habt ihr das aber gar nicht mitbekommen, weil ihr auf einer After Hour festhingt. Oder eben mit dem Kater gekämpft habt.

Denken wir über unsere Privilegien als Weiße nach und darüber wie wir alle gemeinsam dazubeitragen können, dass Rassismus endlich endlich angegangen wird. Setzen wir uns hin, werden Anti-Rassisten und gedenken George Floyd und allen Frauen und Männern, die in den letzten Jahren Opfer rassistischer Polizeigewalt geworden sind mit der angemessenen Portion Respekt.

Und denken wir dabei auch an das, was vor der eigenen Haustür passiert.

Das wäre eine schöne Sache. Eine wichtige Sache.

Dafür würde ich euch mit Liebe aus der Ferne umarmen und euch den bösen Kater wieder vom Hals wünschen.

Du sitzt in der Bahn und es kribbelt die Nas’,
Panik! Gleich musst du niesen!
Seit wann begegnen wir Niesern mit Hass?
Genau wie Grüppchen auf Wiesen?

Für Omas bedeutest du Gefahr,
Klopapier und Nudeln sind rar,
Theater, Museen und Schulen sind zu,
Alle gemeinsam in der Zwangsruh,

Forcierte Entschleunigung der Welt.
In Aktion nur die, die systemrelevant –
Doch statt Unterstützung und Geld
Klatschen wir. Genug anerkannt.

Nationaler Stubenarrest gleich
Mädelsabend im Gruppenchat,
Yoga im Live-Stream,
Selbst erste Dates geschehen virtuell.
Aus virtuell wird generell.

Was kann das nur bedeuten?
Was ist los mit den Leuten?

Hach, wie gern würde ich dich an mich drücken!
Hach, wie schmerzt im Home Office mein Rücken!

Und Unsere Hände! So rau, schon geeignet zum Möbel Schleifen.
Achja und: zur Hölle mit denen, die auf die Quarantäne pfeifen!

Was geht hier vor sich? Was ist hier nur los?

Von New York, Berlin bis nach Bologna
Ja mein Liebstes, gerad’ herrscht Corona.

Corona, Kinder.

Was erzählen wir den Kindern später nur, 
wenn sie in der Schule von der Flüchtlingskrise erfahren?

Wenn sie hören, wie Corona damals durch die Welt wütete?

“Es war eine schwere Zeit für uns damals, Kinder. Mama und Papa konnten nicht mehr in die Kneipe um die Ecke.
Wir waren erschüttert, als unser Urlaub ins Paradies ausfiel.
Und Raves am Wochenende gab es auch nicht mehr.
Ausnahmezustand.
H O R R O R.”

“Damals, meine süßen Kinder, stritten sich erwachsene Menschen – eure Vorbilder, Autoritätsfiguren, Orientierungspunkte für euer künftiges Leben; am Ende auch diejenigen, die Lebensentscheidungen für euch treffen – im Supermarkt um Klopapier.
Sie hatten höllische Panik, mit ihrer Scheiße konfrontiert zu werden.”

“Und während sich da also Gestalten über Papier zum Arsch abwischen kloppten, meine süßen unschuldigen Engelchen, da wurden gleichzeitig auf Lesbos Menschen bedroht, attackiert und misshandelt. Menschen, die eh schon alles verloren hatten, schwer traumatisiert, hilf- und schutzlos, verängstigt und verhasst.”

Was erzählen wir den Kindern später nur, 
wenn sie fragen, warum es in unseren Insta-Stories und Instant-Gehirnen um nichts anderes ging als unser hübsches Home Office Setup, um Nudel- und Scheißpapierknappheit oder warum unsere Sorge maximal dem Gedanken galt, ob wir uns nicht vielleicht doch mit diesem Corona angesteckt haben?

Ja, was erzählen wir ihnen denn nur,  
wenn sie fragen, warum auch die Medien von nichts anderem berichteten und das Sterben eines kleinen Mädchens im Flüchtlingslager Moria nur eine Randnotiz blieb?

“Hatten die Geflüchteten denn auch genug Klopapier, Mami?” – “Nein, mein Schatz. Hygiene war an dem Ort, an dem sie leben mussten nicht vorhanden. Genauso wie ausreichend medizinische Versorgung.”

“Und was haben die Regierungen dagegen gemacht, Papa?” – “Nun mein Schatz, das was sie besonders gut können: nichts.”

Kleines Glück unter der Neonröhre.

Es erhaschte mich dieser paradoxe Glücksmoment als ich,

unter der Neonröhre eines BVG-Vehikels, meinen fahlen Teint betrachtete,

besorgt um Falten, die bald kommen wollen, sich schon langsam ankündigen.

Das Spiegelbild eines alten Mädchen. Nein, vom Gefühl her noch immer keine erwachsene Frau.

Und dann die Folgeerkenntnis: 

Wenn es die an Elastizität-verlierende Haut ist, um die du dich sorgst… 

gehts dir doch ziemlich gut.

Klasse.

So leicht ist es nicht auszumachen, was die beiden da an der Ampel unterscheidet.
Nicht auf den ersten Blick.
Sie sind beide hübsch.

Doch die eine leuchtet. Ein zarter Schimmer umgibt sie. Alles an ihr ist zart.
Die Gesichtszüge weich und elegant.
Ein Gesicht wie ein Gemälde. Porzellanhaut, Porzellanbewegungen. 
Kluge Augen schauen dich an, ein sanftes Lächeln, stetig auf dem Gesicht.
Zuversichtlich. Sorglos. Königlich.

Zeugnisse aus einem behüteten Leben. 
Klavierunterricht, immer ordentlich und sauber gekleidet. Nach dem Klavier geht es zum Reiten. Die Wochenenden im Tennis Club.
Bestnoten in der Schule, kleine Exzesse als Teenager, alles in Maßen. 
Die Freunde aus gleichen Verhältnissen.
Alle wohnen in schönen Straßen, in großen Wohnungen.

Wie, andere haben es schlechter? Was soll das schon heißen? 

Die andere auch schön, nur auf eine gröbere Art. 
Die Haare widerspenstig, stumpfer. Ein paar Pickel heilen gerade ab, die Haut ist ölig. 
Und dunkler.

Ihre Augen stechend, lauernd, rastlos.
Der Mund oft verächtlich, das Lachen zu laut.
Was du ihr erzählst, zerreißt sie gedanklich. Was weißt du schon!

Großgeworden zwischen grauen Klötzen. Mit 11 die erste Zigarette.
Im Block reicht jemand eine Fotografie von einem Mädchen aus der Nachbarschaft herum. Sie ist nackt, betrunken. 15 Jahre alt. 
Und nicht allein auf dem Foto.

Zuhause wird viel gebrüllt. Für den sehnlichen Wunsch nach Reitstunden ist kein Geld. 
Dann hat Mama Krebs. Schlimmen Krebs.
Sie hat Angst. Sie ist viel allein mit Mamas neuem Freund.
Wenn er sie anschreit, treten seine gelben Augen hervor. 
Wenn er schreit, blinzelt er nie.
Starrende, gelbe, glubschige Augen.

Wie, andere haben es besser? Was soll das schon heißen?

Gleiche Stadt, gleiches Geschlecht, gleiche Zeit. 
Perspektive, Lebensfreude, Zuversicht, Ausstrahlung so verschieden. 

Woher nur kommt der Schimmer der einen? Das grobe Grau der anderen?

Nur eine hat Klasse.